Von Hogwarts: Legacy, problematischen Urheber*Innen und kritischer Auseinandersetzungen
Wie einige vielleicht mitbekommen haben, erschien Ende letzte Woche „Hogwarts: Legacy“, ein Playstation 5 Spiel, das auf den Harry Potter Büchern von J.K. Rowling basiert.
Bereits seit Monaten wird in vielen Bereichen online gegen das Spiel mobilisiert. Man solle es nicht kaufen, denn man würde dadurch die kontroversen Aussagen Rowlings zum Thema Transsexualität unterstützen – ja, gar ihrer Meinung sein.
Hier wird das Erschaffene mit dem/der Erschaffer*In gleichgesetzt, die Kunst mit dem/der Künstler*In. Soll man das?
Diese Thematik beschäftigt mich schon länger. Schon seit dem Aufkommen der so genannten „cancel culture“ und der #metoo Bewegung.
Die Rowling-Debatte hat Ausmaße erreicht, die ich in dieser Form noch nicht erlebt habe. Sie schwappt in Freundeskreise über und eine friedliche Diskussion ist oft kaum noch möglich. Einige Menschen, die ich kenne, trauen sich gar nicht, zu sagen, dass sie das Spiel gekauft haben oder noch kaufen werden. Andere bezeichnen Freund*Innen als transphobisch, wenn sie auch nur daran denken.
Es kommt mir so vor, als gäbe es nur eine richtige Meinung – das Spiel solle man boykottieren (und gleichzeitig alles, was mit der Harry Potter Marke zu tun hat). Alle, die diese Ansicht nicht teilen, werden schnell attackiert.
Mir ist natürlich bewusst, dass man das über viele Themen sagen kann. Und mir ist auch bewusst, dass sich die Debatte in bestimmten sozialen Kreisen abspielt. Trotzdem ist es ein Thema, das vor allem deshalb interessant ist, weil es weitreichende Fragen aufwirft.
Hier möchte ich sehr deutlich sagen, dass ich keine definitiven Antworten habe. Wer mich kennt weiß, was ich darüber denke und wo ich stehe.
Aber dieser Beitrag geht nicht um mich und meine persönliche Meinung. Stattdessen würde ich gerne Fragen aufwerfen, die eventuell zum Nachdenken anregen.
Was haben Charles Dickens, Rudyard Kipling, Roald Dahl, Enid Blyton, David Bowie, Immanuel Kant, Aristoteles, Martin Luther und Walt Disney gemeinsam?
Sie alle waren, was wir heute als Rassist*Innen bezeichnen oder wurden des Rassismus bezichtigt.
Und was haben Picasso, John Lennon, Elvis Presley, Salvador Dalí, Edgar Degas und Egon Schiele gemeinsam?
Ihnen wird nachgesagt, dass sie alle äußerst sexistisch und frauenfeindlich waren und die Frauen (und teilweise minderjährige Mädchen) in ihrem Leben schwer missbraucht haben.
Rassismus und Sexismus lässt sich natürlich auch nicht so einfach trennen. Walt Disney stellte lange generell keine Frauen ein, mit der Aussage, dass Frauen keine kreative Arbeit abliefern würden. Und wir wissen alle, wie mit Frauen in Martin Luthers Zeit umgegangen wurde.
Die Frage, die sich also stellt ist die: Darf ich die Werke dieser Menschen noch genießen? Darf ich „Das Dschungel Buch“ lesen oder die Disney Version schauen? Darf ich noch in ein Museum gehen, in dem Gemälde von Picasso oder Dalí ausgestellt sind?
Vielleicht ist es etwas anderes, weil die genannten Personen bereits verstorben sind. Sie sind „Produkte ihrer Zeit“ und können sich heute nicht mehr gegen die getätigten Anschuldigungen wehren.
Was ist also mit problematischen Künstler*Innen, die noch leben?
50 Cent, Chris Brown, Eminem, Harvey Weinstein, Roman Polanski, Florian Teichtmeister, Kevin Hart, Candace Cameron Bure… Rassismus, Sexismus, Missbrauch, Pädophilie, Homophobie, Transphobie, usvm.... so, so viele Künstler*Innen. (Ich habe hier gar nicht den Platz, um alle aufzulisten - unten finden sich weiterführende Links.)
Darf ich mir also keine Filme mehr ansehen, die von Weinstein produziert wurden oder bei denen Polanski Regie geführt hat? Darf ich nicht stolz sein, dass „Corsage“ beinahe für einen Oscar nominiert wurde, weil Teichtmeister mitgespielt hat? Darf ich mir kein Lied mehr anhören, das von einer homophoben Sängerin gesungen wird? Was ist mit den Liedern, deren Lyrics sexistisch und/oder rassistisch sind?
Der Umgang mit problematischen Künstler*Innen
Vielleicht sind das die falschen Fragen. Vielleicht sollte es hier weder um dogmatische Ablehnung, noch um blinde Akzeptanz gehen.
Stattdessen schlage ich vor, dass eine durchaus kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit den problematischen Taten der Künstler*Innen und ja, auch deren Einflüsse in das produzierte Werk durchgeführt wird.
Hierzu kann man sich folgende Fragen stellen:
- Inwieweit sind Werk und Missetat miteinander verwoben?
- Inwiefern bringt mich das Werk dazu, die Missetat zu akzeptieren und zu normalisieren?
- Unterstütze ich die Person in ihren Missetaten, in dem ich das Werk mag/ansehe/anhöre/kaufe?
Singt der Künstler also darüber, wie er seine Frau geschlagen hat und stellt das in ein positives Licht? Bringt mich der Film dazu, Pädophilie als weniger schlimm zu sehen? Bringe ich mit dem Kauf des Werks der problematischen Künstlerin einen finanziellen Mehrwert?
Wir können die Taten und Untaten eines/einer Künstler*In durchaus kritisch sehen und verurteilen. Wir können die getätigten Worte abstrafen und kritisieren. Wir dürfen auch emotional anders auf ein Werk reagieren, sobald eine Untat ans Licht kommt.
Und trotzdem können uns Werke berühren, deren Urheber*Innen frauenfeindlich, rassistisch, pädophil, homophob, etc. waren/sind.
Der finanzielle Mehrwert
In der Rowling-Debatte geht es oft darum, dass der Kauf des Spiels der Autorin einen finanziellen Mehrwert bringt. Sie erhalte Prozente für jedes verkaufte Spiel. Und es ist bekannt, dass sie Organisationen unterstützt, die transphobische Inhalte vertreten.
Ergo, man unterstütze diese Organisationen indirekt durch den Kauf des Spiels.
Das sind durchaus wichtige Punkte und ich will das in keinster Weise klein reden.
Hier muss jede*r für sich selbst entscheiden, ob er/sie das mit seinem/ihrem Gewissen vertreten kann. Genau so, wie ich mich aktiv dafür entscheiden muss, ein Album von einem verurteilten Sexualstraftäter oder ein Buch von einer bekannten Rassistin zu kaufen.
Dabei muss auch kurz angemerkt werden, dass problematische Musiker*Innen natürlich von unseren Spotify-Streams profitieren, auch wenn wir nicht aktiv nach ihnen suchen. Und dass wir oft von Fehlern erst dann erfahren, wenn das Werk bereits konsumiert und/oder gekauft wurde.
Und es darf außerdem nicht vergessen werden, dass es sich sehr selten um nur eine Person handelt, die von unserem Kauf oder Nicht-Kauf des Werkes betroffen ist.
J.K. Rowling hat das Spiel nicht selbst programmiert und die Texte nicht geschrieben. Sie hat die Charaktere nicht gezeichnet und sie hat kein eigenes Geld ins Marketing gesteckt. Das haben andere Menschen getan. Menschen, die für ihre Mitarbeit angegriffen werden. Menschen, die auf den Erfolg des Spiels durchaus angewiesen sind.
Auch das sollte man in seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen.
Wie auch immer man sich schlussendlich entscheidet – ob man das Spiel nun kauft oder nicht – Tatsache ist, dass es nichts bringt, jede*n Käufer*In der Transphobie zu bezichtigen oder jede*n Nichtkäufer*In als zu radikal zu bezeichnen.
Wichtig ist, einen offenen Diskurs zu ermöglichen und zu akzeptieren, dass hier Emotionen hochgehen können.
Vielleicht kann man Kunst trotzdem immer noch genießen und gleichzeitig nicht blind gutheißen. Vielleicht ist ein bewusster Umgang möglich, der die Missetaten weder verharmlost, noch die Werke nicht ohne wenn und aber aus unserer Kultur auslöscht.
Vielleicht.
Weiterführende Links:
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