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AutorenbildTara Marth

Von Menschenmassen und Gewalt

"Ganz Wien hasst die Polizei!"


Dieses Jahr war für uns alle in der einen oder anderen Weise schwierig. Und es kommt mir manchmal so vor, als ob in manchen von uns so etwas wie ein Vulkan schlummert, bei dem es nicht viel braucht, bevor er ausbricht.


Am Wochenende wurde in Wien am Karlsplatz eine „Party“ gefeiert. Hunderte, vorwiegend junge Menschen, die zusammengekommen sind, um gemeinsam zu trinken, zu feiern und sich abzureagieren. Als die Polizei die Party auflösen wollte, wurde die Stimmung aggressiv. Flaschen wurden geschmissen, anti-Polizei Parolen geschrien und schlussendlich gab es einige verletzte PolizistInnen.


Foto: APA/CHRISTOPHER GLANZL

Für viele kommen solche Nachrichten als Schock. Wie kann man nur?? Unverständnis macht sich breit. In diesem gesonderten Fall wurde auch viel Kritik an der Polizei geübt. Sie hätten de-eskalierend handeln müssen - es sei friedlich gewesen, bevor sie gekommen sind. Trotzdem darf so etwas in unserer Gesellschaft eigentlich nicht passieren. Gewalt ist von keiner Seite in Ordnung.


Man sieht es immer wieder. Demonstrationen, Feiern und Sportveranstaltungen laufen friedlich ab, bis plötzlich etwas passiert und Gewalt ausbricht.

Die Beteiligten sind meistens „normale“ Menschen, die im Alltag nicht durch außergewöhnliche Aggression auffallen. Ihre Angehörigen würden sie nicht als besonders gewaltbereit einstufen und sie sind oft im Nachhinein auch über sich selbst erschrocken.


Was viele Menschen nicht realisieren ist, dass es sechs recht verlässliche Faktoren gibt, die dazu beitragen, dass friedliche Gruppenaktivitäten in gefährliches Chaos umschlagen; Soziale Ansteckung, Anonymität, Emotionen, Wetter, Angst und Alkohol.


Soziale Ansteckung


Der wichtigste Faktor ist etwas, das PsychologInnen „soziale Ansteckung“, oder „social contagion“ nennen. Soziale Ansteckung beschreibt das Phänomen von (unangebrachtem) Verhalten, einfach weil man sieht, dass Andere es tun.

Wenn man also jemanden dabei beobachtet, wie er einen Stein durch ein Fenster schmeißt, dann wird diese Aktion zulässig. Das aggressive Verhalten von ein paar Menschen in einer Menschenmenge legitimiert dadurch die ausgeübte Gewalt. Ein Gefühl von „das ist jetzt okay“ stellt sich ein.

Soziale Ansteckung kann sowohl gut, als auch schlecht sein. Wenn ein paar Leute in einem Fußballstadion eine „Welle“ starten, diese Aktion Andere sehen und mitmachen, dann hat man schnell ein ganzes Stadion, das rechtzeitig aufsteht und sich wieder hinsetzt. Das Mitmachen kostet dem Einzelnen irgendwann weniger, als das nicht-Mitmachen.


Dummerweise gilt dieser psychologische Effekt auch für Mobs und Gewalt. Ein Schaufenster einzuschlagen ist für einen einzelnen Mensch, wenn er alleine daran vorbeigeht, wahrscheinlich undenkbar, aber im Kontext einer Menschenmenge könnte derselbe Mensch davon ausgehen, dass ihm dieses Verhalten wenig kosten wird – „safety in numbers“.


Anonymität


Studien bestätigen, dass selbst Kinder schon fähig sind, sich aggressiver zu verhalten, wenn ihre Identitäten geheim sind. Man sieht es vor allem online. Drohungen und hasserfüllte Kommentare zu hinterlassen ist einfach, wenn niemand weiß, wer dahinter steckt.

Der gleiche Effekt kommt bei Menschenmengen ins Spiel. Gerade dann, wenn auch Masken getragen werden. Man kann nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn einen niemand erkennt. PsychologInnen nennen diese Art von Anonymität auch „Deindividuation“.

Und jetzt kann man sich natürlich auch denken, dass dieser Effekt besonders in der heutigen Zeit, in der wir generell auf Grund der Pandemie Masken tragen, relevant ist. Das heißt, dass auch Menschen, die im Normalfall keine Masken zu einer Demonstration mitnehmen würden, nun automatisch maskiert und dadurch anonymer sind.


Emotionen


Wenn Menschen sich bewusst zusammenfinden, dann meistens wegen einer emotional behafteten Situation. Wenn sich Sportfans treffen, dann feiern sie gemeinsam einen Sieg oder trauern gemeinsam bei einem Verlust. Auch bei Demonstrationen schwingen tiefe Emotionen mit.



Und es ist tatsächlich so, dass die Geistesverfassung eine andere ist, wenn man alleine feiert oder protestiert, als wenn man sich in einer Gruppe Gleichgesinnter befindet. Wenn Menschen in einem Zustand emotionaler Extreme sind, dann treffen sie manchmal andere Entscheidungen als sie würden, wären sie ruhig, gelassen und alleine.


Wetter

Je mehr Menschen sich versammeln, desto eher kann Gewalt ausbrechen. Eine Demonstration, die stattfindet, während es herunterschüttet wird weniger Menschen anziehen als eine, die an einem schönen Frühlingstag organisiert wird. Das ist soweit logisch.

Es gibt allerdings auch Studien, die zeigen, dass Menschen aggressiver werden, wenn es heiß ist. Nimmt man dann auch noch her, dass wir im letzten Jahr sehr eingesperrt waren und sich damit sowieso schon Frust angestaut hat, dann ist das – hohe Temperaturen und zum ersten Mal seit langem Menschenansammlungen – eine gefährliche Kombination.



Angst


Es hilft natürlich nicht, dass wir im letzten Jahr konstant mit Existenzängsten konfrontiert waren. Viele von uns fühlen sich beklommen, eingeengt, ängstlich und innerlich unruhig. Aber auch vor Corona gab es genug Dinge, über die man sich Sorgen machen konnte. Schule, Mobbing, Schulden, Arbeit, Terrorismus...


ExpertInnen schätzen, dass zirka 16% der ÖsterreicherInnen an einer behandlungs-bedürftigen Angstkrankheit leiden.

Jetzt darf man Gewaltausbrüche in einer Menschenmenge natürlich nicht auf psychische Krankheiten schieben. Aber es ist eine Tatsache, dass Menschen, die müde, gestresst oder wütend sind, oft Schwierigkeiten haben, richtig und falsch zu unterscheiden.


Alkohol


Wir wissen alle, dass Hemmungen fallen, wenn Alkohol im Spiel ist. Multiple Studien bestätigen, dass es eine direkte Korrelation zwischen Alkohol und Gewalt gibt. Wenn also Menschen in einer Menschenansammlung (egal welcher Art) Alkohol (oder auch andere Substanzen) konsumieren, dann ist eine rationale Entscheidungsfindung plötzlich nicht mehr ganz so einfach.


Nimmt man all diese Faktoren her, dann ist es kein Wunder, dass bei Menschenansammlungen manchmal Dinge passieren, die in unserer Gesellschaft eigentlich nicht passieren sollten.

Das soll natürlich nicht heißen, dass man nie auf Demonstrationen, Feiern oder Großveranstaltungen gehen soll. Es ist auch nicht so, dass zwingend Gewalt ausbrechen wird.

Aber wenn man sich bewusst ist, dass es doch gefährlich werden könnte, kann man die ersten Anzeichen eines Stimmungsumschwungs besser erkennen und sich so aus der Situation verabschieden, bevor wirklich etwas passiert.


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